Der Turm der Garnisionskirche in Potsdam – ein Symbol für „Kriegstüchtigkeit“ und Tradition

Nachdem der „Palast der Republik“ erfolgreich der Kopie des Hohenzollern Schlosses in Berlin
Platz gemacht hat, obwohl es bei vielen Berlinern nie beliebt war, erfolgte nun mit der
Fertigstellung des Glockenturms der Garnisionskirche in Potsdam der nächste symbolische
Anknüpfungspunkt an die preußische-deutsche Tradition. War der Wiederaufbau des Schlosses ein
Ausdruck des Paradigmenwechsels des deutschen Geschichtsverständnisses weg von der
Interpretation des ersten Weltkrieges als Deutschlands „Griff nach der Weltmacht“ (Fritz Fischer)
hin zur deutschen Entlastungsthese von „Die Schlafwandler. Wie Europa in den ersten Weltkrieg
zog“ (Christopher Clark). Nicht Deutschland unter Kaiser Wilhelm trägt die Kriegsschuld, sondern
alle beteiligten Mächte sind mehr oder weniger schlafwandlerisch in diesen Krieg
hineingeschliddert.

Ein Schloss welches architektonisch-äußerlich an Kaisers Zeiten, historisch im
Innern mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausgestattet, die viel von deutscher Raubkunst aus
fernen Ländern unterschiedlicher Zeiten und ein glitzerndes Einkaufszentrum des modernen
Kapitalismus enthält, macht die verbindende Zeitlinie komplett. Es wächst zusammen was
zusammen gehört.


Der kürzlich fertig gestellte Glockenturm der Garnisonskirche komplementiert das Narrativ vom
Kaiserreich zur heutigen Bundesrepublik. Friedrich Wilhelm I. ließ sie von 1730 bis 1735 als
Militärtempel bauen. Auch in der Folge galt nicht die zivile Kirchenverfassung, sondern der
jeweilige König entschied, was stattfand: „Siegesfeiern, Fahnenweihen, militärische Gedenktage,
Trauerfeiern für verstorbene Majestäten, Einstimmung der Potsdamer Regimenter auf den nächsten
Waffengang usw.“ (jw, 23.08.24) Entsprechend die Kirche. Engel mit Helmen, auf dem Turm eine
Kanonenkugel, Kanzel und Emporen mit Schwertern und Flammenvasen geschmückt. Zwischen
Kaiserreich und Bundesrepublik steht sie für den „Geist von Potsdam“, der für Konservative und
Faschisten dem „Geist von Weimar“ widerstand. Am 21. März 1933 wurde hier der neue Reichstag
eröffnet und Preußen-Deutschland und Faschismus gaben sich in Gestalt von Hindenburg und Adolf
Hitler die Hand. Goebbels ließ ab da das Glockengeläut der Kirche als Pausenzeichen des
Großdeutschen Rundfunks verwenden. Bis 1945.

Im Jahre 2000 schrieb der damalige CDU Innenminister Brandenburgs Jörg Schönbohm in einem
längeren Artikel zur Traditionslinie der Garnisionskirche „das sie für Kontinuität zwischen
Preußentum und bundesdeutscher Demokratie“ (jw., 23.08.24)stehe. Und weiter: „ (…) Ich halte
den Wiederaufbau des Turmes mit seiner Symbolkraft für eine Aufgabe von großer nationaler
Bedeutung.“ (jw., 23.08.24) Zur Wiedereinweihung des Turmes der ‚Geisterhöhle‘ (Volksmund)
versuchte der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier dem Ganzen eine positive, etwas
harmlosere Wendung zu geben: „Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, dass dieser Ort etwas
wird, was er über lange Strecken nicht war: ein Ort der Demokratie.“ (jw, 23.08.24)
Ein Bauwerk wieder zu errichten in dem Wissen um seine unrühmliche Tradition in der Hoffnung
des Einen auf einen „Ort der Demokratie“ und zum Anderen der evangelischen Kirche die anfängt
sich von diesem zu distanzieren, könnte man auch als Heuchelei bezeichnen.
Hoffentlich schlafwandeln wir nicht unter Glockengeläut in den nächsten großen Krieg.


Quelle: junge welt